Aktualisierte Sicherheitsempfehlungen des IS an seine Aktivisten zur Umgehung der Maßnahmen, mit denen europäische Staaten und die Türkei ihre Durchreise nach Syrien zu verhindern suchen


Titelseite einer Broschüre mit aktualisierten Sicherheitsempfehlungen für Aktivisten, die sich dem „Islamischen Staat“ anschließen möchten.
Titelseite einer Broschüre mit aktualisierten Sicherheitsempfehlungen für Aktivisten, die sich dem „Islamischen Staat“ anschließen möchten.

Übersicht

1.    Im Februar 2015 stellte der IS eine 50-seitige Broschüre mit dem Titel „Hidschra in den Islamischen Staat (2015)“ ins Netz.[1] Die Broschüre in englischer Sprache ist eine Art Anleitung für ausländische Aktivisten aus westlichen Staaten, die nach Syrien reisen möchten, um sich dem IS anzuschließen. Sie enthält zahlreiche Tipps und operative Ratschläge für die Reise aus westeuropäischen Staaten in die Türkei und von dort weiter nach Syrien (inkl. detaillierte Karten mit Grenzübergängen entlang der türkisch-syrischen Grenze). Es werden Tipps zum Verhalten gegenüber den türkischen Behörden an Flughäfen und anderen Grenzübergängen sowie detaillierte Empfehlungen etwa über die Zusammensetzung des Reisegepäcks gegeben. Wir gehen davon aus, dass diese Empfehlungen mit den jüngst verschärften Sicherheitsmaßnahmen in westeuropäischen Staaten und in der Türkei zusammenhängen, die den Zustrom ausländischer Aktivisten zum IS bremsen sollen.

2.    Auf der Titelseite der Broschüre wird als Herausgeber der Islamische Staat und das Jahr 2015 angegeben. Weitere Details, die Aufschluss über die Herausgeberschaft geben könnten, werden nicht genannt. Die Verbreitung fand auf Tauschbörsen und in den sozialen Medien durch Kreise statt, die dem IS nahestehen. Die Behörden in den USA und in europäischen Staaten versuchten, die Links zur Broschüre von den einschlägigen Seiten zu entfernen, die britische Anti-Terror-Behörde stufte sie als terroristische Publikation ein (Guardian, 25. September 2015). Dennoch dürften die darin enthaltenen Ratschläge nach unserer Einschätzung von den dscchihadistischen Aktivisten und den dschihadistischen Gruppierungen bereits verinnerlicht und bei der Einreise in die Türkei in die Praxis umgesetzt worden sein. [2]

Anleitung zum Ausfüllen des türkischen Visumformulars in der IS-Broschüre.  Es wird empfohlen, als Reisezweck „Tourismus“ und nicht „Dschihad in Syrien durchführen“ anzukreuzen.
Anleitung zum Ausfüllen des türkischen Visumformulars in der IS-Broschüre.  Es wird empfohlen, als Reisezweck „Tourismus“ und nicht „Dschihad in Syrien durchführen“ anzukreuzen.

3.    Die Broschüre befasst sich intensiv mit der Türkei, die den IS-Aktivisten und anderen dschihadistischen Organisationen als Haupttransitland auf dem Weg nach Syrien dient.Bis Anfang 2015 gestaltete sich die Durchreise für solche Aktivisten relativ einfach, weil die türkischen Behörden ein Auge zudrückten, unter anderem da die Türkei nicht an einer direkten Konfrontation mit dem IS interessiert war. In letzter Zeit nehmen die türkischen Behörden diese Art von Passagieren bei der Einreise in der Türkei aber genauer unter die Lupe, worauf in der Broschüre ausdrücklich hingewiesen wird. Derzeit gebe es zwischen dem IS und den türkischen Behörden keinerlei Kooperation, und die türkischen Geheimdienste würden versuchen, jeden Reisenden, der als IS-Mitglied verdächtigt werde, festzuhalten. Andererseits weist die Broschüre auch darauf hin, dass die Türkei aus Furcht vor Vergeltungsmaßnahmen des IS, den Aufenthalt von IS-Aktivisten auf ihrem Territorium nicht ganz unterbinde (Seite 6 der Broschüre, siehe unten).

4.    Trotz verstärkter Sicherheitsmaßnahmen der Türkei und westeuropäischer Staatenhält der Zustrom von Aktivisten zum IS an, wenn auchmöglicherweise aus einigen Staaten in geringerem Umfang. Ersteres hat aus unserer Sicht folgende Gründe:

a.   Der IS übt nach wie vor eine starke ideologische Anziehungskraft auf junge Menschen aus arabischen und westlichen Ländern aus (möglicherweise hat sie aufgrund der internationalen Kampagne gegen den IS sogar noch zugenommen). Die staatlichen Sicherheitsmaßnahmen haben die IS-Aktivisten vorsichtiger gemacht, deren Zustrom zum IS jedoch nicht unterbunden.

b.   Keine wirksamen Schritte des Westens: Die europäischen Staatenhaben es bislang nicht verstanden, effektive Sicherheitsmaßnahmen gegen das Phänomen der Auswanderung in den Dschihad zu ergreifen und zwar aus einer Reihe von politischen, rechtlichen und sozialen Gründen, welche die einzelnen Staaten betreffen. Das kam neulich in den Worten des Sonderbeauftragten der Vereinigten Staaten für die Internationale Allianz gegen den Islamischen Staat, John Allen, zum Ausdruck, wonach die Mitglieder der Allianz in letzter Zeit begonnen hätten, geordneter und koordinierter gegen die Bedrohung der ausländischen Dschihadkämpfer vorzugehen. Gleichzeitig räumte Allen ein, dass der Zustrom von ausländischen Aktivisten zum IS trotz Gegenmaßnahmen anhalte, weshalb eine stärkere internationale Kooperation erforderlich sei (Website des US-State Departments, 2. März 2015).

c.   Die Maßnahmen der türkischen Behörden sind bislang nicht effektiv genug: Die Türkei, das Haupttransitland für die ausländischen Aktivisten, versucht dem Phänomen auf verschiedenen Wegen zu begegnen, geht jedoch nicht resolut gegen die dschihadistische Infrastruktur auf türkischem Gebiet vor, und zwar aus politischen Gründen und (wie in der Broschüre erwähnt) auch aus Furcht vor Vergeltungsaktionen. Zudem scheinen die Möglichkeiten der Türkei, die Grenze zu Syrien auf effektive Weise undurchlässig zu machen, begrenzt. Auf den türkischen Flughäfen und in der Stadt Istanbul, welche die meisten Aktivisten auf ihrem Weg nach Syrien passieren, scheinen die Gegenmaßnahmen besser zu greifen als der langen und durchlässigen türkisch-syrischen Grenze entlang.

d.   Die Gegenmaßnahmen des IS: Der IS trifft verschiedene vorbeugende Maßnahmen, um die gegen ihn gerichteten Sicherheitsmaßnahmen zu umgehen (wie es in der Broschüre zum Ausdruck kommt, die im Februar 2015 herausgegeben wurde). Die anhaltende Einreise von ausländischen Aktivisten in die Türkei und von dort nach Syrien deutet darauf hin, dass es dem IS und den dschihadistischen Aktivisten bisher gelungen ist, den gegen sie gerichteten Sicherheitsmaßnahmen wirkungsvoll zu begegnen.

Die wichtigsten Empfehlungen der IS-Broschüre für die Aktivisten

5.    Die IS-Broschüre richtet sich an europäische Aktivisten, die nach Syrien reisen möchten, um sich dem IS anzuschließen. Manche Ratschläge beziehen sich auf die Türkei, das Haupttransitland (die Broschüre befasst sich nicht mit der Einreise in Syrien via andere Länder – Libanon, Jordanien oder Irak). Die Broschüre gliedert sich in mehrere Kapitel mit Empfehlungen zur Einreise in die Türkei und zum Transfer nach Syrien, einschließlich zahlreicher Details zu Routen, auf denen den lokalen Sicherheitskräften ausgewichen werden kann.

6.    Nachfolgend eine Zusammenstellung einiger Empfehlungen:

a.     Die Reise in die Türkei: In der Broschüre wird empfohlen,nicht direkt vom Ausgangsland in die Türkei zu reisen, da ein DirektflugVerdacht wecken könnte. Es wird daher empfohlen, zuerst in einen anderen europäischen Staat zu reisen (Griechenland oder Spanien werden genannt) und dort ein Flugticket in die Türkei zu kaufen. Zudem wird empfohlen, auch einen Rückflug zu buchen (obwohl keine Absicht besteht, in das Ausgangsland zurückzukehren), um keinen Verdacht zu wecken.

b.     Die Ankunft in der Türkei: Die Broschüre gibt detaillierte Angaben zu den Befragungen und Untersuchungen, die Aktivisten bei der Einreise in die Türkei durchlaufen, verbunden mit Ratschlägen, wie man den türkischen Befragern antworten soll. Der wichtigste Ratschlag für die Einreisenden ist, sich als Tourist auszugeben und Kenntnisse über die türkischen Touristenorte zu demonstrieren, damit die Tarngeschichte glaubwürdig wirkt.

c.     Kontaktaufnahme mit Helfern des IS: Den Aktivisten wird empfohlen, bei der Ankunft in der Türkei mit der lokalen Verbindungsperson via Twitter Kontakt aufzunehmen (in der Broschüre wird eine Twitter-Adresse genannt sowie einige Ausweichadressen für den Fall, dass ein Twitter-Account gelöscht wird). In der Broschüre ist auch von sicheren Unterkünften die Rede, wo sich die Aktivisten bis zu ihrem Transfer nach Syrien aufhalten.

d.     Die erforderliche Ausrüstung: Ein Kapitel der Broschüre enthält Empfehlungen zur Ausrüstung für die Reise nach Syrien und wie sie verpackt werden soll. Reisenden nach Syrien wird empfohlen, nur drei Gepäckstücke mitzubringen; ein Handgepäck, ein Rucksack und ein Koffer. Wir vermuten, dass es dabei darum geht, keine überflüssige Aufmerksamkeit zu erregen und den Transfer nach Syrien zu erleichtern.

e.     Einreise von Frauen: Ein Kapitel der Broschüre widmet sich der Einreise von Frauen. So wird Frauen unter anderem empfohlen, die öffentlichen Verkehrsmittel zu meiden, sich nicht in großen Gruppen zu bewegen (mehr als drei Frauen), ein Handy mitzuführen und einige grundlegende Sätze auf Türkisch zu lernen (Anmerkung: Unter den Neumitgliedern des IS befinden sich auch Frauen. Einige Frauen unternehmen diesen Schritt auf eigene Faust, andere schließen sich ihren Ehemännern an).

[1]   Der Begriff “Hidschra”, den der IS hier verwendet, bedeutet “Auswanderung”, d.h. die Einwanderung von Moslems aus der ganzen Welt in den vom IS proklamierten “islamischen Staat“. Die Hidschra ist ein wichtiger symbolträchtiger Begriff im Islam. Er bezeichnet ursprünglich die Auswanderung des Propheten Mohammed und seiner ersten Anhänger im Jahre 622 von Mekka nach Medina, nachdem dieser in Mekka verfolgt wurde. Die Hidschra wurde für die Gläubigen zum religiösen Akt der Läuterung von den Lastern der sündigen Gesellschaft und Vorbild für den rechtschaffenen Weg und den Aufbau einer Gesellschaft nach den Vorgaben des Islam (Uriah Forman, Islamiun („Islamismus“ – hebr.), Maarachot-Verlag, Ministerium der Verteidigung, Tel Aviv 2002, S. 322).
[2]   So wurde etwa neulich in türkischen Medien berichtet, dass britische Aktivisten nun bei der Einreise in der Türkei eine andere Taktik anwenden. Sie fliegen nach Istanbul und reisen von dort an eine Feriendestination wie Marmaris und Bodrum weiter. Von dort aus begeben sie sich in verschiedene Städte und werden dann nach Syrien geschickt (sozcu.com, 18. März 2015).