Terroranschlag des IS (ISIS) in einer schiitischen Hochburg im Süden von Beirut: Aktueller Stand und Implikationen


Szenen des Anschlags in Burdsch al-Baradschne, eine Hochburg der schiitischen Hisbollah im Süden der libanesischen Hauptstadt (al-Manar TV, 12. und 13. November 2015)
Szenen des Anschlags in Burdsch al-Baradschne, eine Hochburg der schiitischen Hisbollah im Süden der libanesischen Hauptstadt (al-Manar TV, 12. und 13. November 2015)

Übersicht

1.   In den frühen Abendstunden des 12. November 2015 führte der Islamische Staat (IS, ISIS) einen Terroranschlag in einer schiitischen Hochburg der Hisbollah, die sich im Süden der libanesischen Hauptstadt Beirut befindet, aus. Bei dem Anschlag wurden 43 Personen getötet und etwa 240 verletzt, die meisten von ihnen Passanten (al-Jazeera TV unter Berufung auf ein Bulletin des libanesischen Gesundheitsministeriums). Zudem wurden erhebliche Schäden verursacht (der Bürgermeister von Burdsch al-Baradschne berichtete von zehn eingestürzten Gebäuden und 55 zerstörten Läden). Der Anschlag wurde von zwei Selbstmordattentätern ausgeführt, die sich selbst fast gleichzeitig mit Sprengstoffgürteln in der Nähe des Krankenhauses Rasul al-Azam in die Luft sprengten.Ein dritter Selbstmordattentäter sei tot gefunden worden. Er habe noch einen funktionstüchtigen Sprengstoffgürtel getragen. Wahrscheinlich ist er dem zweiten Attentäter zu nahe gekommen, als dieser seine Bombe zündete.

2.   In einer Meldung des IS (ISIS) im Libanon, die am 12. November 2015 über die sozialen Netzwerke verbreitet wurde, bekannte sich der IS (ISIS) zum Anschlag. Dabei wurde berichtet, dass Selbstmordattentäter Anschläge in der Hisbollah-Hochburg Burdsch al-Baradschne durch Explosion einer Motorrad-Sprengfalle inmitten einer Menschenmasse in dem südlichen Vorort von Beirut verübt haben (Muslims-News.net 12. November 2015).

Links: Der Vorort Burdsch al-Baradschne im Süden Beiruts (Google Maps). Rechts: Bekennung des IS (ISIS) im Libanon zum Terroranschlag (Website von Muslims-News.net 12. November 2015).
Links: Der Vorort Burdsch al-Baradschne im Süden Beiruts (Google Maps). Rechts: Bekennung des IS (ISIS) im Libanon zum Terroranschlag (Website von Muslims-News.net 12. November 2015).

3.   Seit Sommer2014 ist dies der erste Selbstmordanschlag in diesem südlichen Vorort von Beirut, eine Hochburg der Hisbollah.[1] Es ist auch der gewaltsamste Terroranschlag im Libanon, seitdem die Hisbollah im syrischen Bürgerkrieg verwickelt ist. Die Erfolge der syrischen Armee und der Hisbollah im Gebiet des Kalamun-Gebirges und die gezielten Gegenmaßnahmen der Hisbollah im Libanon im allgemeinen und insbesondere im Süden von Beirut, halfen für eine recht lange Zeit, die Mobilität des IS (ISIS) und der anderen dschihadistischen Organisationen zu schwächen und ihre Absichten, Terroranschläge in den schiitischen Vierteln Süd-Beiruts durchzuführen, zu durchkreuzen. Mit diesem Anschlag ist es dem IS (ISIS) gelungen, eine komplexe Terroroperation im Herzen des von der Hisbollah kontrollierten Süd-Beiruts auszuführen, die vielen Opfern das Leben kostete.

4.   Unserer Einschätzung nach sieht der IS (ISIS) in diesem Anschlag eine eindrucksvolle operative Leistung, die auch seinem öffentlichen Ansehen dienen soll.Der Anschlag von Beirutsteht jedoch nicht alleine. Der IS (ISIS) hatte in letzter Zeit noch zwei weitere "Erfolge" zu verzeichnen: den Terroranschlag von Paris, der von Selbstmordattentätern ausgeführt wurde und mindestens 129 Leben kostete, und die Explosion eines russischen Passagierflugzeugs über der Halbinsel Sinai mit 224 Opfern, wahrscheinlich durch einen eingeführten Sprengsatz. Vom politischen und propagandistischen Aspekt her gesehen, zielen drei spektakuläre Anschläge innerhalb des kurzen Zeitraums von nur zwei Wochen darauf, den verschiedenen Feinden des IS (ISIS) abschreckende Botschaften zu vermitteln: Russland undÄgyptenHisbollah und derIran, sowie Frankreich und derWesten. Vom operativen Aspekt her veranschaulicht diese Welle des Terrors die Fähigkeiten des IS (ISIS), Anschläge in verschiedenen Arenen, fern von seinen Hauptbasen der Macht in Syrien und dem Irak, durchzuführen. Unserer Einschätzung nach ist zu erwarten, dass der IS (ISIS) diese Fähigkeiten gegen seine verschiedenen Feinde, darunter auch Israel, weiterhin einsetzen wird.

 

Die Position der Hisbollah

5.   Der Erfolg der IS (ISIS), den letzten Anschlag im Libanon ausführen, bedeutet eine Herausforderung im Bezug auf die Sicherheit, die Politik und das öffentliche Ansehen der Hisbollah, die ihre Involvierung in Syrien mit dem Vorwand, den Libanon vor dem dschihadistischen Terror schützen zu wollen, erklärt. Der Terroranschlag im südlichen Vorort von Beirut veranschaulicht sehr deutlich, wo die Grenzen der Macht der Hisbollah liegen und dass die Hisbollah Selbstmordanschläge in ihrer Hochburg im Süden von Beirut nicht auf Dauer verhindern kann. Deshalb und wenn sich die Lage wieder beruhigt hat, dürfte dieser Anschlag die inner-libanesische Kritik im Bezug auf die Beteiligung der Hisbollah im syrischen Krieg, trotz der momentanen relativen Zurückhaltung der Hisbollah-Gegner, steigern.[2]

6.   Hassan Nasrallah, Generalsekretär der Hisbollah, versuchte in seiner Rede am 14. November 2015, diese Herausforderung zwei Tage nach dem Anschlag im südlichen Vorort der libanesischen Hauptstadt anzusprechen. Dabei verglich er den Anschlag in Burdsch al-Baradschne mit dem Anschlag in Paris und betonte, dass es keinen Zweifel gebe, dass der Anschlag in Beirut durch den IS (ISIS) durchgeführt wurde. Nasrallah behauptete, dass der Anschlag in Burdsch al-Baradschne durch zwei Selbstmordattentäter syrischer Herkunft verübt wurde, und dass die libanesischen Sicherheitskräfte Personen festhalten würden, die gestanden haben, mit der IS (ISIS) verbunden zu sein und seine Anweisungen ausgeführt zu haben. Seinen Worten zufolge führten die Festnahmen nach dem Anschlag zur Aufdeckung eines Netzwerks, das für den IS (ISIS) geheimdienstliche Informationen gesammelt hatte. Dessen Aktivisten stellten auch Unterschlupfhäuser in Beirut und in Burdsch al-Baradschne sicher (al-Manar TV, 14. November 2015).

7.   Im Mittelpunkt der Rede vonHassan Nasrallah stand die Reaktion, die an den IS (ISIS) und seine Feinde in der inner-palästinensischen Arena gerichtet war. Nasrallah behauptete, dass der Anschlag zwei Ziele erreichenwollte: erstens, (wohl durch die Gegner der Hisbollah) zu einem Bürgerkrieg im Libanon zu führen, der Israel und dem IS (ISIS) dienen würde. In dieser Hinsicht rief Nasrallah die Libanesen auf, sich nicht in einen Bürgerkrieg hineinziehen zu lassen und die Hetze gegen die syrischen und palästinensischen Flüchtlinge zu unterlassen, obwohl er die syrischen Flüchtlinge im Libanon ermahnte, keine Terroristen aus dem eigenen Lager hervorzubringen. Das zweite Ziel des Anschlags von Beirut war laut Nasrallah, Druck auf die Hisbollah auszuüben, sich vom Kampf gegen den IS (ISIS) in Syrien "und anderswo" zurückzuziehen. Darauf antwortete Nasrallah, dass der letzte Anschlag nur die Entschlossenheit der Hisbollah erhöhen werde, in Syrien zu kämpfen ("Sie stärken nur unsere Entschlossenheit… Nach diesem Anschlag befinden wir uns in einem offenen Krieg gegen den IS (ISIS) und werden entschiedener gegen ihn kämpfen…").

[1]  Am 25. Juni 2014 wurde ein Selbstmordanschlag im Hotel Du Roy in Beirut durchgeführt, der allerdings missglückte. Etwa ein halbes Jahr zuvor wurde am 2. Januar 2014 ein Selbstmordanschlag im Süden Beiruts, in der Nähe einer der wichtigsten Institutionen der Hisbollah, durchgeführt.
[2]  Der libanesische Ministerpräsident Tammam Salam rief zu einer besseren Koordinierung zwischen den Sicherheitsdiensten und zur Verbesserung der Sicherheitslage auf. Die Gegner der Hisbollah (Samir Geagea, Saad Hariri) verurteilten den Anschlag, griffen jedoch (noch?) nicht die Hisbollah für ihre Beteiligung am syrischen Bürgerkrieg an.